Händedesinfektion
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Desinfektion - wann und wo ist sie sinnvoll?

Lesen Sie im Interview mit Biotechnologin Marion Jaros von der Wiener Umweltanwaltschaft worauf es beim sicheren und sparsamen Einsatz von Desinfektionsmitteln ankommt.

Frau Jaros, inwieweit hat sich das „Desinfektionsverhalten“ der Österreicher*innen durch die Pandemie verändert oder „gesteigert“?

Desinfektionsmittelhersteller haben berichtet, dass sich die Nachfrage – insbesondere nach Händedesinfektionsmitteln - am Beginn der Pandemie teilweise verfünffacht hat. Das ist ein klares Zeichen, dass diese Produkte in der Sorge vor einer Covid19-Infektion vermehrt verwendet wurden. Es gab am Beginn der Pandemie regelrechte Hamsterkäufe von Desinfektionsmitteln in der Bevölkerung. Da man anfangs noch wenig über das Virus wusste, war diese Reaktion nicht ganz unverständlich. In den Spitälern, wo der Einsatz von Desinfektionsmitteln essentiell ist, wurden diese Produkte jedoch knapp. Notfallzulassungen des Klimaschutzministeriums sorgten schließlich dafür, dass Apotheken und auch Brennereien für alkoholische Getränke Desinfektionsmittel herstellen durften, um den Mangel rascher auszugleichen.

Man konnte den vermehrten Einsatz von Desinfektionsmitteln auch im Alltag beobachten. So wurden beispielsweise in der Gastronomie vor jedem neuen Gast die Tische desinfiziert und überall im Handel standen Spender für Händedesinfektionsmittel. Untersuchungen zeigten indes recht bald, dass Teile des Virus zwar noch nach mehreren Tagen auf Flächen nachgewiesen werden können, aber die Infektiosität schon nach wenigen Minuten deutlich abnimmt. Univ.Prof.in Miranda Suchomel vom Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie der MedUni Wien wies in ihren Publikationen darauf hin, dass „auf unbelebten Flächen im Umfeld von COVID-19-Patienten praktisch nie infektiöses SARS-CoV-2 nachgewiesen werden konnte, lediglich die virale RNA.“[1] Sie folgerte unter anderem daraus, dass öffentliche Flächen nur gereinigt und nicht desinfiziert werden müssen. Seife kann zudem die Eiweißhülle von Coronaviren rasch zerstören, sodass Händedesinfektion nur in Situationen sinnvoll ist, wo Händewaschen nicht möglich ist.

Insgesamt wurde also während der Pandemie weit mehr desinfiziert als es tatsächlich indiziert war. Besonders problematisch war die Werbung für Geräte zur permanenten Luftdesinfektion, wenn sich gleichzeitig Personen im Raum befinden. Davon wird von relevanten Hygieneexpert*innen generell abgeraten. Lungenschäden könnten die Folge sein.

Werden dadurch verstärkt (nicht notwendige) Desinfektionsmittel „sorglos“ verwendet?

Konkrete Verkaufszahlen, die zeigen, ob der Desinfektionsmittelabsatz heute immer noch höher ist als vor der Pandemie liegen mir nicht vor. Nicht selten sind aber Desinfektionsmittelspender in Geschäften oder Restaurants geblieben und man kann wohl davon ausgehen, dass in der Pandemie übliche Desinfektionsmaßnahmen von einem Teil der Bevölkerung in etwas abgeschwächter Form weiter praktiziert werden.

Wo sollte mit welchen chemischen Mitteln desinfiziert werden? Gibt es dazu in Österreich eine offizielle Richtlinie? Ihre Empfehlungen?

Es gibt viele hygienische Risikobereiche, in denen Desinfektionsmaßnahmen sinnvoll und auch rechtlich geboten sind. Im Bereich der Produktion und Zubereitung von Lebensmitteln macht die HACCP-Richtlinie konkrete Vorgaben zu Desinfektionsmaßnahmen, die natürlich einzuhalten sind. Im Gesundheits- und Pflegebereich werden von Hygieneexpert*innen im Rahmen von Arbeitskreisen Hygienerichtlinien erarbeitet, die Orientierung bieten. Überall, wo der Einsatz von Desinfektionsmitteln unerlässlich ist, sollte darauf geachtet werden, dass jeweils geeignete und ausreichend wirksame Produkte zur Anwendung kommen. Im professionellen Bereich sollte man dabei Produkte auswählen, deren Wirksamkeit von unabhängigen Hygienegesellschaften geprüft und zertifiziert wurde. In Österreich hat die Österreichische Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP) ein entsprechendes Expertisenverzeichnis herausgegeben. In Deutschland hat der Verbund für Angewandte Hygiene (VAH) eine ähnliche Desinfektionsmittelliste herausgegeben. Aber natürlich ist nicht nur die Wirksamkeit oder Materialverträglichkeit relevant. Da Desinfektionsmittel unterschiedliche, gefährliche Eigenschaften für Umwelt und/oder die Gesundheit aufweisen, sollte man auch diese beiden Aspekte berücksichtigen.

Desinfektion
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Welche Probleme können bei übermäßigem Einsatz von Desinfektionsmitteln in Bezug auf Resistenzen, Schädigung der Haut und Auswirkungen auf die Umwelt auftreten?

Die in Desinfektionsmitteln enthaltenen bioziden Wirkstoffe sollen Mikroorganismen rasch abtöten. Solche Stoffe können ohne entsprechende Schutzmaßnahmen mitunter auch Haut, Augen, Lunge oder andere Organe schädigen. Beim Einsatz von Flächendesinfektionsmitteln müssen zumeist Haut und Augen durch Handschuhe und Schutzbrillen vor stark ätzenden Stoffen geschützt werden, einige Inhaltsstoffe können auch Allergien auslösen. In selteneren Fällen sind auch Risiken für Schwangere und das werdende Kind nicht ausgeschlossen.

Gelangen Desinfektionsmittelreste ins Abwasser, so können sie insbesondere bei schlechter Abbaubarkeit auch Oberflächengewässer beeinträchtigen. Denn für empfindliche Wasserorganismen wie Daphnien oder Fischeier sind teilweise schon geringste Konzentrationen tödlich. Auch die biologische Stufe von Kläranlagen verträgt keine hohen Konzentrationen an Bioziden im Abwasser.

Und noch ein dritter Effekt ist zu beachten. Werden über längere Zeit dieselben Wirkstoffe in geringen Konzentrationen eingesetzt, so besteht zumindest bei manchen Wirkstoffen, wie zum Beispiel den umweltgiftigen, quaternären Ammoniumverbindungen, die Gefahr einer Resistenzbildung von pathogenen Keimen. Sie können dann mit der Desinfektion immer schlechter reduziert werden und sind teilweise auch schon antibiotikaresistent.

Aus all diesen Gründen sollte man im Haushalt Desinfektionsmittel nicht präventiv, also ohne konkrete Indikation wie einer sehr ansteckenden Infektion, einsetzen. Wir machen uns sonst eine Waffe stumpf, die wir in Spitälern und anderen Bereichen dringend brauchen.

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DIE UMWELTBERATUNG und das Umweltbundesamt haben 2023 im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) gemeinsam einen neuen Folder herausgegeben, der verständlich erklärt, wann und wie man Desinfektionsmittel im Alltag richtig verwendet und vor allem auch, wann nicht. Gratis Download des Folders „Desinfektionsmittel - Tipps zur Vermeidung und sicheren Anwendung“ hier.

Gibt es Desinfektionsmittel, die mit dem Österreichischen Umweltzeichen zertifiziert wurden? Andere empfehlenswerte Desinfektionsmittel?

Es gibt derzeit keine Desinfektionsmittel mit Umweltzeichen. Da diese Produkte aufgrund ihrer keimtötenden Eigenschaften nie harmlos sind, soll ein etwaiges Umweltzeichen hier auch keine Harmlosigkeit suggerieren. Es gibt aber zum Beispiel in den Kriterien für das Umweltzeichen für Schulen Vorgaben für den sorgsamen Einsatz von Desinfektionsmaßnahmen. Folgende Vorschläge haben wir für das Umweltzeichen für Schulen als Muss-Kriterien erfolgreich eingebracht:

  • Keine Standardprodukte mit Desinfektionszusatz verwenden („antibakteriell“ etc.).
  • Bei notwendiger Flächendesinfektion gemäß Hygieneverordnung (HACCP) vorzugsweise Produkte auf Sauerstoffabspaltern, Alkoholbasis oder organischen Säuren bzw. Produkte aus der Desinfektionsmittel-Datenbank WIDES einsetzen, die keine rot gekennzeichneten Stoffe enthalten.
  • Für die Händedesinfektion duftstofffreie Produkte auf Alkoholbasis verwenden, vorzugsweise Produkte, die zur Händedesinfektion in der Schwangerschaft geeignet sind.
  • Desinfektionsmittel dürfen nur dort eingesetzt werden, wo dies zur Erfüllung gesetzlicher Hygienebestimmungen notwendig ist (z. B. Küchenbereich).

Somit ist in den Schulen mit dem Umweltzeichen die sensible Personengruppe „Schulkinder“ künftig besser vor gefährlichen Chemikalien in Desinfektionsmitteln geschützt.

Für den Einsatz von Desinfektionsmitteln im professionellen Bereich, insbesondere im Gesundheitssektor, hat das ökologische Beschaffungsprogramm ÖkoKauf Wien die Desinfektionsmitteldatenbank WIDES unter meiner organisatorischen Leitung entwickelt. Mithilfe dieses Instruments kann man mit wenigen Mausklicks jene Produkte am Markt finden, die bei ausreichender Wirksamkeit auch Umwelt und Gesundheit der Anwender*innen bestmöglich schonen. Dabei werden nicht nur die gefährlichen Eigenschaften der Inhaltsstoffe anhand aktueller Daten der Europäischen Chemikalienagentur berücksichtigt, sondern auch deren Konzentration in der Anwendungslösung.

Sehr erfreulich ist weiters, dass das Pestizid-Aktions Netzwerk „PAN Germany“ die Verwendung der WIDES Datenbank in einem kürzlich publizierten Flyer auch für deutsche Kommunen empfiehlt. Auch das internationale Städtenetzwerk ICLEI und die EU-Agentur OSHA (für Gesundheitsschutz) haben die Datenbank ausgezeichnet.

DI Marion Jaros leitet seit zwei Jahrzehnten die Arbeitsgruppe Desinfektion im ökologischen Beschaffungsprogramm ÖkoKauf Wien


[1] Quelle: Desinfektion während der COVID-19 Pandemie, MEDIZIN & UMWELT, tägliche praxis 64, 359–368 (2021) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, M. Suchomel, Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie, Medizinische Universität Wien; G. Kampf, Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Universitätsmedizin Greifswald