Ausstellung MAK: CLIMATE CARE_Grafik Warming Stripes, Wien 1775 – 2020
© CLIMATE CARE_Grafik Warming Stripes, Wien 1775 – 2020

Grüne Museen: Klimaschutz und Klimaschönheit im MAK

Wie Klimaschutz zur Chance für uns alle werden kann, eine ökologisch und sozial zukunftsfähige Klima-Moderne vergleichbar der Zeit um 1900 zu gestalten und welche Rolle dabei Kunst & Kultur spielen können erläutert Christoph Thun-Hohenstein, Generaldirektor des MAK in einem inspirierenden Essay.

1. Willkommen in der Klima-Moderne!

Österreich und Wien haben die Chance, wie um 1900 eine der Wiegen einer neuen Moderne zu werden. War es damals die umfassende Auseinandersetzung mit dem Industriezeitalter und seinen enormen Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, so geht es in den kommenden Jahren um die Gestaltung einer ökologisch und sozial zukunftsfähigen Klima-Moderne. Wie um 1900 können und müssen Kunst & Kultur dabei eine Hauptrolle spielen. Das wird aber nur gelingen, wenn sich nicht nur Wirtschaft und Gesellschaft und jede*r Einzelne von uns, sondern auch Kunst und Kultur einer radikalen Veränderung unterziehen und vor allem zeitgenössisch arbeitende Museen Modelleinrichtungen der Klima-Moderne werden.

Der Begriff der Klima-Moderne bedeutet, dass die Bewältigung der Klima- und Umwelt-Gesamtkrise einschließlich ihrer sozialen Aspekte die klare Priorität unseres Zeitalters ist. Die Klima-Moderne erfordert nicht nur wirksamen Klimaschutz, sondern auch die Bewahrung der Ökosysteme und biologischen Vielfalt der Erde, denn ebenso wie der rasante Klimawandel, die Zerstörung von Ökosystemen und das alarmierende Artensterben ineinander verwoben sind, verstärken Maßnahmen zur Bewältigung dieser Mega-Herausforderungen einander. Dafür brauchen wir alle Hebel und müssen daher insbesondere auch den Innovationstreiber Digitalisierung konsequent für die Bewältigung der Klima- und ökosozialen Gesamtkrise einsetzen.

Ausstellung MAK: CLIMATE CARE_Greta Thunberg (Blutkörperchen), 2019.
© CLIMATE CARE_Greta Thunberg (Blutkörperchen), 2019.

2. Klimaschönheit

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Schönheit uns zu besseren Menschen macht, sei es durch die Kontemplation als schön empfundener Werke oder die Betrachtung/Nutzung von Bauten, die in ihrer visuellen Erscheinung zu einer Aufwertung der jeweiligen Umgebung und des sozialen Umgangs in dieser beitragen. Das von mir entwickelte Konzept der Klimaschönheit stellt einen Zusammenhang zwischen Schönheit und dem Klima als für die Menschheit besonderes wertvollem Gut her. Klimaschönheit meint den Anspruch einer Gesellschaft, durch ökologisch und sozial zukunftsfähige Wirtschaft und Lebensstile in Wertschätzung anderer Spezies und der Ökosysteme eine dauerhafte Balance zur Erde herzustellen und damit die Erderwärmung im Sinne des Pariser Abkommens zu begrenzen. Das Ziel ist eine auf klaren Werten basierende, die Bedürfnisse anderer Spezies und künftiger Generationen achtende nachhaltige Qualitätsgesellschaft, die so weit wie möglich in biologischen und technischen Kreisläufen funktioniert. Mit diesem Bild von Klimaschönheit vor Augen, werden wir stärker reflektieren, welche unserer Handlungen und Konsumentscheidungen zur Klimaschönheit beitragen und welche ihr abträglich sind.

Ausstellung MAK: CLIMATE CARE_Thomas Wrede, Rhonegletscher-Panorama II, 2018
© CLIMATE CARE_Thomas Wrede, Rhonegletscher-Panorama II, 2018.

3. Drei Säulen der MAK-Nachhaltigkeitsstrategie

Das MAK war immer am Puls der Zeit. Schon in der Vergangenheit hat es das Ziel verfolgt, gesellschaftlich brisante Debatten aufzugreifen und breitenwirksam zu thematisieren. Heute verlangt die Klima-Moderne eine neue Schwerpunktsetzung. Die vom MAK in den letzten Jahren aufgebauten drei Säulen seiner Nachhaltigkeitsstrategie erreichen 2021 eine neue Qualität:

Erste Säule:

Die bereits seit Jahren verfolgte nachhaltige Senkung des CO2-Abdrucks des MAK wird durch die Erlangung des Österreichischen Umweltzeichens offiziell gewürdigt, was die Glaubwürdigkeit des Hauses im Hinblick auf die VIENNA BIENNALE FOR CHANGE 2021 erhöht. Dies ist auch ein Ansporn, bei allen künftigen Bauprojekten und bei Wahrnehmung aller Museumsfunktionen inkl. Veranstaltungen noch stärker auf Nachhaltigkeit zu achten. Zugleich gilt es das Thema nach innen auszurollen und alle Mitarbeiter*innen für klima- und umweltschonendes Verhalten zu sensibilisieren und zu gewinnen. Wünschenswert wäre auch ein gemeinsames calculation tool der Bundesmuseen für die Berechnung der CO2-Emissionen, was eine der Voraussetzungen für die Festlegung eines Zieljahres für die Erreichung von Klimaneutralität wäre. Das MAK hat dazu soeben ein Pilotprojekt mit der BOKU (Kompetenzstelle für Klimaneutralität) gestartet, bei dem eine konkrete CO2-Emissionsberechnung für die im Rahmen der VIENNA BIENNALE FOR CHANGE 2021 gezeigte große CLIMATE CARE-Ausstellung des MAK erfolgen wird. Diese CO2-Emissionsberechnung ist von großer Relevanz für die in der Folge angestrebte Berechnung der gesamten CO2-Emissionen des Museums. Das MAK hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu werden.

Zweite Säule:
Bei der inhaltlichen Thematisierung der Klima- und ökosozialen Gesamtkrise zählt das MAK mittlerweile zur Weltspitze, wie auch internationale Auszeichnungen belegen (etwa Silber bei der letzten Mailänder Triennale 2019). Besonders die VIENNA BIENNALE FOR CHANGE eröffnet dem MAK neue Dimensionen, sich mit profilierten Projekten internationaler und heimischer Design-, Architektur- und Kunstschaffender und durch neuartige Kooperationsformate mit Wissenschaft und Wirtschaft in die Klima-Moderne einzubringen. Das MAK DESIGN LAB und die dazugehörige MAK LAB APP sind eine neue Maßstäbe setzende Basis, um die Vermittlungsarbeit zu den großen ökologisch-sozialen Fragen ambitioniert weiterzuentwickeln. Seit 2020 beschäftigt sich das MAK auch mit dem transformativen Potenzial von Design in Verbindung mit künstlicher Intelligenz.

Dritte Säule:

Das zivilgesellschaftliche Engagement des MAK durch ökologischen Aktivismus wird 2021 weiter ausgebaut, u.a. durch verstärkte Zusammenarbeit mit Klimaschutz-Initiativen wie dem Breathe Earth Collective, dem Climate Impact Day, Climate-KIC/Climathon und Museums for Future.

Ausstellung MAK: CLIMATE CARE Shigeru Ban Architects, Tokyo, Swatch and Omega HQ
© CLIMATE CARE Shigeru Ban Architects, Tokyo, Swatch and Omega HQ.

4. Neue Kunst-/Design-/Architektur-Leiter der Klima-Moderne

Manche werden sich noch an die nach dänisch-schwedischem Vorbild in den 2000er Jahren auch für Wien adaptierte sog. Design-Leiter erinnern, die vier Stufen für Design vorsieht: Non-Design, Design als Formgebung und Behübschung, Design als früh in der Produktentwicklung eingesetzter Prozess und schließlich als höchste Stufe Design als Strategie. Heute braucht es eine neue „Kunst-/Design-/Architektur-Leiter“, die die mögliche Rolle dieser Sparten bei der Gestaltung der Klima-Moderne in vier Stufen darstellt. Während die Design-Leiter grundsätzlich werteneutral konzipiert war, geht es bei der von mir entwickelten Kunst-/Design-/Architektur-Leiter der Klima-Moderne um Schlüsselwerte der Zukunft.

Nicht alle Künstler*innen und Kreativen sowie Kunst-/Design-/Architektur-Museen sind in gleicher Weise in der Lage, für die Klima-Moderne relevante Inhalte zu schaffen und zur Diskussion zu stellen. Aber alle können sich bemühen, diesem wichtigsten Thema des 21. Jahrhunderts mehr Aufmerksamkeit zu widmen; dies gilt auch für Nicht-Kunstmuseen und für nicht-sammelnde Kunst- und Kultureinrichtungen. In diesem Sinn versteht sich die nachfolgende Leiter als Ansporn und Ermutigung höherzusteigen.

Erste Stufe:
BUSINESS AS USUAL
Kunst-/Design-/Architektur-Museen und Kunstschaffende/Kreative machen business as usual, auch wenn sie sich der Klima- und ökosozialen Gesamtkrise bewusst sind.

Zweite Stufe:
KÜNSTLERISCH-KREATIVE KRITISCHE REFLEXION
Kunst-/Design-/Architektur-Museen und Kunstschaffende/Kreative befassen sich gelegentlich mit Fragestellungen der Klima-Moderne, rücken sie aber nicht ins Zentrum von Programmierung und künstlerisch-kreativer Arbeit.

Dritte Stufe:
KÜNSTE-FÜR-KLIMA ALS PROGRAMM
Kunst-/Design-/Architektur-Museen und Kunstschaffende/Kreative anerkennen die Klima- und ökosoziale Gesamtkrise als größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts und entwickeln strukturierte Programme und künstlerisch-kreative Arbeiten zu wesentlichen Fragestellungen der Klima-Moderne. Die Zertifizierung mit einem Öko-Gütesiegel wie dem Österreichischen Umweltzeichen erhöht die Glaubwürdigkeit von Kunst-/Design-/Architektur-Museen auf dieser Stufe.

Vierte Stufe:
KÜNSTE-FÜR-KLIMA ALS STRATEGIE
Kunstschaffende/Kreative und Kunst-/Design-/Architektur-Museen sind der Überzeugung, dass die Klima- und ökosoziale Gesamtkrise als größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts nur mit ganzheitlichem Ansatz bewältigt werden kann und den Künsten dabei eine wesentliche Aufgabe zukommt. Auf dieser Grundlage beschließen sie eine Schwerpunktsetzung auf die Klima-Moderne und entwickeln zukunftsweisende Werkserien und neuartige, lösungsorientierte Kooperationsformate mit anderen Kunstsparten und mit anderen gesellschaftspolitischen Kräften, insbesondere Wissenschaft, Forschung & Technologie, Unternehmen, Medien und Zivilgesellschaft. Sie tun dies bei größtmöglicher Diversität von Kenntnissen, Erfahrungen und Sichtweisen mit dem Ziel, gemeinsam wegweisende Impulse für die Klima-Moderne zu erarbeiten und zu präsentieren sowie open-source zugänglich zu machen. Wie auf der dritten Stufe erhöht die Zertifizierung mit einem Öko-Gütesiegel wie dem Österreichischen Umweltzeichen die Glaubwürdigkeit von Kunst-/Design-/Architektur-Museen auch auf dieser Stufe.

Ausstellung MAK: CLIMATE CARE_vancouver design week.
© CLIMATE CARE_vancouver design week.

5. Grüne Museen aktiver Hoffnung

Gerade jetzt braucht es starke Kunst und grenzenlose Kreativität statt business as usual. Gerade jetzt braucht es überall das richtige ökologisch und sozial nachhaltige Zukunftsmindset, um in der Klima-Moderne Aufbruchsstimmung zu vermitteln und die Menschen zum Mitmachen anzuspornen. Museen, besonders Kunstmuseen, sollten dabei eine Vorreiterrolle als grüne Museen aktiver Hoffnung übernehmen, indem sie den Menschen nicht nur ökosoziale Orientierung (eco-social literacy) verschaffen, sondern sie für die Mitgestaltung der Klima-Moderne begeistern und sie – im Sinn von aktiver Hoffnung entscheidend – mobilisieren, sich selbst dafür tatkräftig zu engagieren.

Das MAK sieht dies als zentralen Auftrag. Die Kompetenz und Agilität, mit der sich das MAK in die Gestaltung der Klima-Moderne einbringt, wird seine Relevanz als Museum und Ideenzentrum für lange Zeit bestimmen.

Autor: Christoph Thun-Hohenstein, Generaldirektor des MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien