Begeistert barfuß zur Matschküche
Barfuß über Moos und Steine gehen. Dabei die Natur spüren. Dann feuchten Sand nach Herzenslust formen: Die Kinder im Kindergarten Kranebitten in Innsbruck erleben das, da sie sich sehr viel im Garten aufhalten. Sie entwickeln nicht nur dort Achtsamkeit zu Flora und Fauna. Das sind nur einige Gründe, warum dieser Städtische Kindergarten 2024 das Österreichische Umweltzeichen erhalten hat.
Licht, Holz, Wärme, Freiheit. Das aus Holz errichtete Gebäude des Städtischen Kindergartens Kranebitten in Innsbruck wurde im Jahr 2015 nach Plänen der Reitter Architekten fertiggestellt. 2024 begleiten sechs Elementarpädagoginnen in zwei Stammgruppen insgesamt rund vierzig Kinder. Geleitet wird das pädagogische Team von Alexandra Strobl. Mit ihr hat sich der Verfasser zu einem Lokalaugenschein und Gespräch getroffen. Die Architektur ist großzügig, gleich beim Eintritt kommt daher das Gefühl von Freiheit auf. Der innovative, klimafite Holzbau ist ein flacher L-förmiger Baukörper mit rechteckiger Freianlage. Die Wärmeversorgung erfolgt nichtfossil.
Wertschätzung I. Alle Räume sind die Sinne anregend gestaltet. Trotzdem gibt es viel freie Wandflächen, die nicht nur die Augen zur Ruhe kommen lassen. Die Hauptakteure – also die Kinder – erfahren Wertschätzung, sind keine „Objekte“ pädagogischer Bemühungen. Wobei es klare Regeln gibt, die man vielleicht besser als geschickte pädagogische Möglichkeiten bezeichnet: So gibt jedes Kind, nachdem es gejausnet hat, sein Foto in ein Gefäß. Damit wissen die Pädagoginnen, wer schon gegessen und getrunken hat.
Werkstättenpädagogik. Im Kindergarten wird nach dem Prinzip der Werkstättenpädagogik gearbeitet: Das Kind ist (sein) Erzieher. Der Pädagoge bzw. die Pädagogin ist der/die zweite ErzieherIn. Und der Raum wird als dritter Erzieher verstanden. Darum hat die Gestaltung, Ausstattung des Raumes eine große Bedeutung. Zwischen den Räumen können sich die Kinder im Kindergarten Kranebitten weitgehend frei bewegen. Somit haben sie auch freie Wahl der Betätigung. Denn jeder Raum hat eine andere inhaltliche Ausrichtung. Trotzdem sind nicht alle Kinder in einem Raum: Ein kindgerechtes „Leitsystem“ macht es möglich. Die Räume selbst verstehen sich als Werkstätten, in denen Kinder selbsttägig Bildungserfahrungen erleben.
Frau Strobl, warum war Ihnen die Zertifizierung des Kindergartens mit dem Österreichischen Umweltzeichen ein persönliches Anliegen? „Unser Ziel ist es, die Kinder für die Themen Natur und Umwelt zu sensibilisieren. Für unsere Arbeit bedeutet das konkret: Die Partizipation der Kinder an der Gestaltung unserer Umgebung und des Alltags zu ermöglichen sowie in der Kindergartengemeinschaft eine Kultur der Nachhaltigkeit zu vermitteln. Es ist eine schöne Aufgabe für die Kinder ein Vorbild zu sein und bewusst auf die Umwelt zu schauen. Und das Österreichische Umweltzeichen bestätigt unsere Anliegen.“ Das Umweltzeichen ist eine nicht so leicht zu erreichende Topauszeichnung. Die aber nach der Zertifizierung wie ein Leuchtturm wirkt. Tatsächlich fungiert es als „einleuchtendes“ Zeichen dafür, dass in einem zertifizierten Kindergarten engagierte PädagogInnen die Kinder begleiten. Denn das Österreichische Umweltzeichen steht für eine innovative, umweltverantwortliche Pädagogik.
Im Atelier: zur kreativen, sinnerfüllten Entfaltung. Im Atelier – einer der Werkstätten – steht eine voll funktionsfähige Werkbank aus Holz. Eingespannt sind Sperrholzplatten für Laubsägearbeiten der kleinen Werkenden. Denn die Ausstattung aller Werkstätten orientiert sich an realen Studios. Damit lässt die Werkstattpädagogik die Kinder am realen Leben teilhaben, gaukelt keine künstliche Kinderwelt vor. Die noch kleinen Menschen werden auch nicht „beschäftigt“, sondern können sich eine Betätigung wählen, die für sie Sinn macht. So wird die Basis für ein sinnerfülltes Leben geschaffen.
Der sehr beliebte Ruheraum. Nach Aktivitäten tut Ruhe gut. Zentrales Ausstattungsstück des Ruheraumes ist ein Tüllhimmel, unter dem die Kinder ruhen können. Das regt zum Träumen an, zum durchaus sinnvollen „Nichtstun“. An die Decke werden Farbformen projiziert. Ihre Betrachtung fördert enorm die Fantasie. Material nach Maria Montessori schafft Meditation. Das Kind kann sich aber auch einfach selbst in einem Wandspiegel betrachten. Alexandra Strobl dazu: „Neben den gesamten Bildungs- und Entwicklungszielen, welche die Kinder in allen Räumen realisieren, ist es auch wertvoll, zur Ruhe zu kommen. Die Stille einfach genießen, auch aushalten zu können.“
Im Kinderrestaurant. Nach Aktivitäten in der Bau- oder Rollenspielwerkstatt sind die Kinder hungrig: Das Mittagessen wird geliefert, von einer Pädagogin portioniert. Auf Wunsch gibt es auch vegetarische Speisen. Beim gemeinsamen Essen wird Bedeutsames eingeübt: Erlernen einer Tischkultur; Wertschätzung des Essens (gegen die „Entsorgung“ von Mitteln zum Leben); Förderung der Selbstständigkeit; Essen als Genuss erleben; Körpergefühl und Körperbewusstsein schaffen (zentrale Fragen im Hinblick auf Essstörungen wie „Habe ich Hunger, Durst?“, „Bin ich satt?“ werden mit den Kindern besprochen).
Recycling kreativ: Die Fensterscheiben im Kinderrestaurant haben die Kinder mit Farbkreisen dekoriert. Sie haben sie aus alten transparenten Kunststoffhefteinbänden ausgeschnitten, realisieren damit also ökologisches Denken. Gleichzeitig geht es auch darum, Vögel vor der durchsichtigen Barriere zu warnen: Gelebter Tierschutz, Einsicht, das andere Wesen die Hilfe der Kinder benötigen inklusive!
Bewegungsraum mit (flexiblen) Ruhe- bzw. Schlafmöglichkeiten. Die Leiterin des Kindergartens erklärt: „Im Vordergrund stehen hier Freude und Spaß an der Bewegung. Gleichzeitig gilt es herauszufinden, wo vielleicht noch das eine oder andere Defizit besteht. Dann können die Entwicklung der Muskulatur, die Verbesserung der Kondition sowie die Schulung der Motorik gezielt gefördert werden.“ Der Raum dient nach dem Mittagessen auch zum Schlafen: Dazu wird durch kleine transportable Betten („Nester“) der Aktivitätsraum in einen Ort zum Träumen verwandelt.
Barfuß im Garten. „Bewegung an der frischen Luft ist für alle wichtig. Darum halten wir uns möglichst oft im Garten auf. Gleichzeitig wird das selbstständige An- und Ausziehen gefördert, das Temperaturempfinden entwickelt und das Immunsystem gestärkt.Wir bemühen uns, den Kindern alle Bildungsbereiche im Garten zu ermöglichen. So gibt es auch Zeichenmaterial in einer Kiste“, informiert Alexandra Strobl. Ein realer Ziehbrunnen lässt Wasser in Tröge fließen, fördert die Begeisterung der Kinder für Wasser. Höhepunkt: Die erwähnte, selbstgebaute, höchst beliebte „Matschküche“, in der die Kinder aus angefeuchteten Sand nach Herzenslust formen. Das Material für den Barfußweg sammeln die Kinder selbst im nahen Wald. Der Weg führt die nackten Füße über Moos, Steine, Holz, Tannenzapfen, Eicheln und Zweige. Eine der Folgen: Die Haltung verbessert sich automatisch.
Wertschätzung II. Bereits Kinder im Kindergarten müssen – wie im Kindergarten Kranebitten – Möglichkeiten bekommen, eine Kultur der Nachhaltigkeit zu erlernen und zu erproben. Umso eher können sie als Erwachsene einen Beitrag dazu leisten, eine nachhaltige Gesellschaft zu entwickeln. Ein Großteil der pädagogischen Überlegungen im Kindergarten Kranebitten sind vom Gedanken der nachhaltigen Entwicklung durchzogen. Dieser schließt auch den Erwerb von sozialen Kompetenzen mit ein. Ergebnisse dadurch: Kinder und Pädagoginnen erreichen ein höheres Level an Verantwortungsbewusstsein für Umwelt und Mitmenschen.
Das Erreichen der für das Umweltzeichen notwendigen Standards wird vom pädagogischen Team als – so ungeheuer wichtiges – Lob von außen wahrgenommen. Es spornt zu weiterem Engagement an. Wertschätzung - ein zentraler Begriff! Wertschätzung der Kinder. Aber auch Anerkennung des verantwortlichen Tuns der Pädagoginnen im Kindergarten.
Ganz herzliche Gratulation dem Team des Kindergartens Kranebitten zur Erlangung des Österreichischen Umweltzeichens! Es ist auf dem richtigen Weg. Die Kinder sind hier bestens begleitet! Der Verfasser ist allerdings ein bisschen neidig: Er möchte auch nächsten Sommer barfuß aus Matsch Knödel formen dürfen …
Helmuth Oehler, Innsbruck